Konzertkritik: Nick Cave im Zenith München, 2.11.17: Mach mir den Prediger!

Konzertbild: Nick Cave live in München, 2.11.17 (Foto: Elisa Reznicek, lebelieberlauter.de)

Nick Cave live und zum Anfassen (Foto: Elisa Reznicek, lebelieberlauter.de)

„Es ist doch ganz einfach“, sagt ein Konzertbesucher nach dem ausverkauften Gig im Münchner Zenith. „Ich schaue, dass mein Leben möglichst beschissen ist – und verarbeite dann den ganzen Schmerz in großartiger Musik.“ Ich bin mir ziemlich sicher, dass Nick Cave das anders sieht. Denn was soll man sagen und singen, wenn alle Worte fehlen? Wenn das Herz bricht, der Atem stockt und die Welt aufhört, sich zu drehen? Ein hoher Preis für ein wenig „großartige Musik“ und zusätzlich verkaufte Platten.

„With my voice I am calling you“, singt Nick Cave mit brüchiger, dunkler Stimme in „Jesus Alone“. Doch sein Ruf wird nicht mehr erhört. 2015 stirbt sein Sohn Arthur bei einem tragischen Unfall, als er unter Drogeneinfluss von einer Klippe stürzt. Der Vater zerbricht, und die einzelnen Emotionsscherben formen das Album „Skeleton Tree“, das einen großen Teil der Setlist im Münchner Zenith ausmacht. Es ist derart von tiefer Trauer durchzogen, dass man bei Songs wie „I Need You“, „Distant Sky“ (Duett-Partnerin Else Torp singt im Konzert von der Videoleinwand) und „Girl in Amber“ bis ins Mark erschüttert wird, so man denn die Musik an sich heranlässt und auf die Texte hört. „And if you want to bleed, just bleed / And if you want to bleed, don’t breathe a word / Just step away and let the world spin.“ Die Welt dreht sich, während man selbst aus der Zeit gefallen ist. Nichts geht mehr. Und doch geht Musik! Zumindest irgendwie.

Nick Cave live im Zenith München: Mach mir den Prediger

Konzertbild: Nick Cave live in München, 2.11.17 (Foto: Elisa Reznicek, lebelieberlauter.de)

Nick Cave live in München, 2.11.17 (Foto: Elisa Reznicek, lebelieberlauter.de)

An dieser Tiefgründigkeit, Intensität und Tragweite ändert auch die große Inszenierung beim Nick-Cave-Konzert in München nichts. Hier wirft sich der Meister einem Prediger gleich in Pose, während ihm seine „Gemeinde“ an den Lippen hängt. Fehlt nur noch der eine oder andere „Halleluja-Jubelruf“, um die Illusion perfekt zu machen. Durch den inszenierten Fokus auf seine (Künstler-)Person lenkt er das Augenmerk geschickt weg vom Menschen Nick Cave – hin zum Geschichtenerzähler, der all jene dunklen Seiten des Lebens, der Liebe und des Todes schon immer poetisch in Musik verpackt hat. Live interpretierte Titel wie „Red Right Hand“, aber auch „The Ship Song“ und mein Lieblingssong „Into My Arms“ beweisen das eindrucksvoll, auch wenn sie grundverschieden sind.

„Can you feel my heartbeat?“ fragt er in „Higgs Boson Blues“ von 2013er Album „Push the Sky Away“ mit einer derartigen Vehemenz, dass man tatsächlich meint, seinen Herzschlag zu spüren. Dazu wirft er sich den Konzertbesuchern in den ersten Reihen wieder einmal entgegen, die ihm ihre Hände aufgeregt entgegenstrecken. Nick Cave sucht besonders zu Beginn derart viel Körperkontakt, dass er mehrfach fast in die Menge gezogen wird, durch die er später im Konzert sogar noch eine Runde drehen soll.

Band um Multiinstrumentalist Warren Ellis bleibt meist im Hintergrund

Nur dummes Reingequatsche in seine Show mag er gar nicht. Als wieder einmal einer einen Zwischenruf an einer besonders fragilen Stelle platziert, bekommt er ein herzliches „Fuck you –at my own pace!“ entgegengeschmettert, während ein anderer gebeten wird, sich doch gleich auf die Bühne zu setzen und Anweisungen zu geben. Gut, ist das also auch direkt geklärt! Die Band, allen voran der fast schon manisch aufspielende Multiinstrumentalist Warren Ellis, bleibt derweil meist im Hintergrund, was den atmosphärischen, oft bis aufs musikalische Gerüst reduzierten Arrangements aber sehr gut zu Gesicht steht. Die Ausbrüche und Noise-Gewitter – und davon gibt es einige – wirken dadurch nur noch dramatischer.


Zugaben mit Massenauflauf auf der Bühne: Nick Cave als Star zum Anfassen? 

Bei der letzten Zugabe wird Nick Cave dann umringt von seinen „Jüngern“ auf der Bühne, die ihm natürlich auch hierhin gefolgt sind und zwischen ehrfürchtiger Schockstarre und Fan-Hysterie pendeln (eine junge Frau tupft Cave sogar diverse Male verzückt den Schweiß vom Gesicht, andere machen in einer Tour Selfies oder filmen). Derweil lässt Nick Cave mit derber Sprache Massenmörder „Stagger Lee“ von den „Murder Ballads“ alles niedermetzeln, was ihm vor die Flinte kommt, nur um in „Push The Sky Away“ wieder zurück zur alten Weisheit (oder Altersweisheit?) zu finden. „And some people say it’s just rock’n’roll, but it gets you right down to your soul.“ Wie Recht er doch hat!

Nick Cave live in München: ein denkwürdiges Konzert, das sich im Gedächtnis einbrennt

Ist Nick Cave ein Star zum Anfassen? Ja, ich hab ihn tatsächlich angefasst, als er durchs Publikum gelaufen ist, und nein: richtig nah kommt man ihm natürlich nie. Doch das ist auch nicht das, was zählt. Nick Cave ist einer, der weiß, wie es geht und ein wahnsinns Konzert in München hinlegt. Zoran Gojic schreibt in seiner Kritik im Merkur: „Ohne jede Übertreibung eines der besten Konzerte, das diese Stadt in den vergangenen 20 Jahren erlebt hat. Wer dabei war, wird noch seinen Enkeln davon erzählen.“ Dem kann ich mich nur anschließen!


Text und Bilder: Elisa Reznicek, lebelieberlauter.de
VIdeo:  cap9smile