Ich gebe zu: Für mich ist das Cello in der Klassik ungefähr das, was die Gitarre in der Rockmusik ist. Wenn jemand gut Cello spielt, werde ich schwach. 🙂 Auf Julian Steckel bin ich jedenfalls Ende 2015 bei der Uraufführung von Anno Schreiers Cellokonzert „On A Long Strand“ im Badischen Staatstheater Karlsruhe aufmerksam geworden.
Es stand außer Frage: Über diesen Musiker will ich unbedingt mehr erfahren. Wie schön, dass meine Arbeit mir das ermöglicht und außerdem mit der Einspielung von C.P.E. Bachs Cellokonzerten auch gleich ein toller Anlass gegeben ist. Denn die CD beweist, dass es neben dem Standard-Repertoire für Cellisten noch so viel Spannendes zu entdecken gibt!
Interview-Vorgeschichte: Julian Steckel in Schreiers „On A Long Strand“
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Doch kurz zurück zu „On A Long Strand“. Was für ein phänomenales Werk, das neben klassischen Bezügen für mich auch Querverweise zum Jazz und sogar in Richtung Rock und Metal hat. Dem Cellokonzert liegt als Ausgangsgedanke das Gedicht „North“ von Seamus Heaney zu Grunde, das als musikalische Idee weiterentwickelt wird. Der irische Literatur-Nobelpreisträger schildert in bemerkenswerten Bildern die Verlorenheit, aber auch Besinnung des Menschen im Angesicht von Naturgewalten.
Auch wenn Schreiers Werk alles andere als Programmmusik ist: Besonders im wilden dritten Satz kann man sich leicht vorstellen, wie die raue See an der Atlantikküste gegen Klippen peitscht, während der Wind pfeift und der Mensch sich inmitten des Spektakels klein und nichtig vorkommt. Solist Julian Steckel spielte es mit einer derartigen Emphase und Präsenz, dass mir der Atem stockte. An anderer Stelle wiederum bewies er viel Gespür für lyrische Zwischentöne, ließ sein Cello geradezu singen. Ich war schwer angetan …
Interview mit Cellist Julian Steckel – „Man muss schnell justieren können“
In seiner Jugend musste Cellist Julian Steckel noch im Saunakeller üben, wenn ihn morgens halb sechs die Lust aufs Musikmachen überfiel. Heute füllt der gebürtige Pfälzer mit Leichtigkeit große Säle! Anlässlich seiner nächsten Konzerte und der jüngst erschienenen CD „C.P.E. Bach – Cellokonzerte“ mit dem Stuttgarter Kammerorchester sprach ich mit ihm über den Reiz von Kontrasten in der Musik und seine Verbundenheit zur Region.
Elisa Reznicek: Es ist gut vorstellbar, dass sich Carl Philipp Emanuel Bach mit seiner Musik auch ein Stück weit von seinem berühmten Vater emanzipieren wollte. Hört man das in seinen Cellokonzerten raus?
Julian Steckel: Das ist sicher ein interessanter Gedanke. Natürlich kann man im Nachhinein keine Ferndiagnose stellen, was psychologisch genau stattgefunden hat. Was aber bei ihm schon auffällt, sind die Brüche, Kontraste und krassen Gegensätze.
Der Begriff „empfindsamer Stil“ führt immer gleich ein wenig in die Irre, weil man denkt, dass alles soft und hypersensibel ist. Auf der einen Seite ist es zwar auch unglaublich empfindsam. Aber wenn man zum Beispiel das A-Dur-Konzert nimmt, stellt man fest, dass die Einleitung ziemlich aggressiv ist – also im Sinne von fast schon wütend perkussiv. Das erste Thema im Cello klingt dann aber wie ein Lamento – sehr verinnerlicht und vom Gesang her kommend. Nach ein paar Takten wird das wieder vom Orchester unterbrochen. Es ist ein bisschen eine Wechseldusche. Einerseits die Kantilenen und verinnerlichten Passagen wie der langsame zweite Satz des A-Dur-Konzerts, der fast schon ein Fall fürs Klassikradio ist, einfach weil er so schön ist [lacht] Der Rest ist wieder wahnsinnig virtuos und schnell. Von der Form her ist das absolut traditionell, aber was CPE Bach innerhalb dieser Form macht, ist es nicht. Er stachelt ziemlich an. Das ist schon sehr eigen, finde ich. Ob das in ihm angelegt war oder wie viel da bewusste Abgrenzung war, ist aber schwer zu sagen.
Elisa Reznicek: Liegt dann genau in diesen Kontrasten und Brüchen auch die Herausforderung der Konzerte?
Julian Steckel: Unbedingt, wenn auch nicht nur darin. Ich kann es bildlich umschreiben: Stellen Sie sich vor, dass Sie im Fernsehen von einem Actionfilm auf ein leises Drama umschalten. Es geht musikalisch von hochvirtuosen, schnellen Sachen, die technisch richtig anspruchsvoll sind, zu einer absoluten Seelenruhe. Man muss ganz schnell justieren können. Das ist eine große Herausforderung und passiert bei diesen Stücken sehr viel.
Elisa Reznicek: Haben Sie eine Lieblingsstelle in den Cellokonzerten?
Julian Steckel: Diese Werke haben so viele wunderbare Momente. Der zweite Satz des A-Dur-Konzerts ist aber tatsächlich wirklich unglaublich. Er ist so, wie man sich einen zweiten Satz vorstellt: entrückend schön, lyrisch, langsam. Gleichzeitig gibt es extreme dynamische Gegensätze, die man mit spätbarocken Mitteln darstellen muss. Man kann nicht großartig mit Vibrato arbeiten, wenn man die Farben ändern will, sondern muss viel mit dem Bogen machen. Man kann sich also auch nicht einfach zurücklehnen und genießen. Dann kommt ein dritter Satz, der nur so vor Lebensmut sprüht. Da muss man sich anschnallen! Der ist so schnell, dass man entweder Spaß an diesem Slalomkurs hat oder direkt verliert. Man muss ein paar schwere Nüsse knacken und ist immer sehr gefordert – aber auf eine Art, die mir sehr liegt.
Elisa Reznicek: Auch ihre Uraufführung von „On A Long Strand“ des Karlsruher Komponisten Anno Schreier hatte viele starke Momente, wurde zwischendurch aber auch immer wieder abgesoftet, wie man am Badischen Staatstheater hören konnte.
Julian Steckel: Genau. Auch ein Schreier-Konzert ist so ein Full-Package. Einerseits muss man sich reinwerfen in die wilde Flut, aber auf der anderen Seite mit langem Atem große Monologe und Dialoge nachzeichnen. Das macht das Stück so abwechslungsreich. Ich stelle mir das wie einen Roman mit Anfang und Ende, Höhepunkten und Abflauen vor. Es ist alles dabei. Deshalb zieht es den Zuhörer auch so in seinen Bann.
Elisa Reznicek: Wenn wir mal einen Blick auf Ihre Vita werfen: Sie haben schon mit fünf Jahren angefangen Cello zu lernen. Wie kam es dazu?
Julian Steckel: Ich komme aus einem Musikerhaushalt. Aber meine Eltern wussten, dass es nichts gebracht hätte, mir etwas aufzuhalsen, was ich nicht wollte. Bei uns gehörte Musik einfach immer dazu, aber war nicht mit dem Satz „Du musst jetzt aber üben“ verbunden. Es war vielmehr ein Angebot. Genauso wie bei uns 10.000 Bücher zuhause stehen, die man lesen konnte, und auch Sport immer dabei war. Man konnte sich aussuchen, was einem am meisten Spaß macht. Bei mir war das eine Mischung aus allem, wobei ich auch schon früh den Wunsch hatte Musik zu machen.
Mit Fünf durfte ich dann endlich mit dem Cello anfangen, nachdem ich wirklich darum gebettelt hatte. Ich hatte außerdem das Glück, dass mein Lehrer eine sehr gesunde Aufbauarbeit gemacht hat und ich auch wirklich gerne geübt habe. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich durchs Üben wirklich besser werde, was bei mir den Ehrgeiz geweckt hat. Sobald ich zuhause war habe ich gefragt, ob ich denn jetzt endlich üben und spielen darf. Es hieß also nie „Du hast deine drei Stunden heute noch nicht geübt.“ Ganz im Gegenteil.
Elisa Reznicek: Stimmt die Geschichte, dass Sie teilweise im Saunakeller üben mussten?
Julian Steckel: Ja, das stimmt. [lacht] Das war vielleicht mit 15 oder so. In der Oberstufe kam Nachmittagsunterricht dazu, den ich ziemlich verabscheut habe, denn dadurch ging mein schöner Plan, den Nachmittag fürs Cello zu haben, kaputt. Deshalb habe ich mir morgens öfters mal den Wecker früher gestellt und vor der Schule noch eine Stunde geübt. Am Anfang bin ich einfach aufgestanden und habe in meinem Zimmer gespielt. Natürlich klopfte es nach wenigen Sekunden und ich wurde gefragt, ob ich denn eigentlich verrückt bin. Um halb 6 kann ich das auch verstehen. Da wäre ich heute auch sauer. [lacht]
Dann bin ich eine Etage tiefer ins Wohnzimmer gegangen, was aber auch noch zu laut war. Also bin ich in den Keller umgezogen. Da hat es dann nicht gestört. Das habe ich natürlich nicht jahrelang so gehandhabt, aber immer, wenn ich das Gefühl hatte, dass es nötig war und ich mich in ein Stück geradezu verbissen habe. Das hat mir einfach Spaß gemacht. In dem Alter war auch durchaus sportlicher Ehrgeiz dabei, virtuose Sachen zu lernen.
Das Schöne an der Zeit war außerdem, dass man abgesehen von der Schule nichts hatte, was einen abgelenkt hat. Handys gab’s damals zum Beispiel noch nicht. Die Nachmittage waren frei. Ich hatte meine drei Stunden zum Üben. Abends bin ich dann zum Tischtennistraining. Und das war’s.
Elisa Reznicek: Sie haben familiäre Wurzeln in Pirmasens und spielen ein Instrument aus Speyer, leben aber mittlerweile in Berlin. Haben Sie noch Bezüge zur Region?
Julian Steckel: Klar. Meine Eltern leben noch immer in Pirmasens, ich spiele regelmäßig hier und gestalte einmal jährlich ein Konzert der Kammermusik-Reihe meines Vaters. Mit meinen Geschwistern, die ebenfalls Musiker sind, organisiere ich darüber hinaus immer im Herbst ein Orchester-Projekt in Pirmasens, bei dem auch der SWR involviert ist. Das ist ein großes Ereignis für die Stadt, das auch von viel privatem Engagement lebt. Alle Orchestermitglieder übernachten bei Freunden von uns. Es haben sich fast schon Patenschaften gebildet, wo die Pirmasenser jedes Jahr „ihren“ Musiker haben. Davon abgesehen gibt es auch schon seit Jahren den Plan, ein Festival in der Region zu machen. Den haben wir allerdings noch nicht umgesetzt, weil es bislang leider zeitlich zu eng war. Aber es wird kommen.
Infos zur neuen CD
Julian Steckel – CPE Bach CELLOKONZERTE
Julian Steckel, Cello
Stuttgarter Kammerorchester unter Susanne Gutzeit
erschienen am 12. Februar 2016 bei hänssler CLASSIC / NAXOS
für die Werkangaben einfach das Bild rechts anklicken
Die nächsten Konzerte in der Region Nordbaden & Pfalz:
13.03.2016 Rosengarten Mannheim & 14.03.2016 Festhalle Pirmasens
Saint-Saens Cellokonzert
Mannheimer Philharmoniker, Dirigent Boian Videnoff
03.04.2016 Theater Heidelberg
Kammermusik von Hindemith, Kagel und Schumann
Mehr Information hier.
Text & Interview: Elisa Reznicek, lebelieberlauter.de 2016
Aufmacher-Foto: Giorgia Bertazzi/PR
CD-Cover & Rückseite: NAXOS/PR