Den koreanischen „Chopin-Champion“ und Pianisten Seong-Jin Cho (*1994) habe ich bei meinem Interview in Ludwigshafen als sehr feinsinnigen, zurückhaltenden und bedachten jungen Mann erlebt. Die geradezu ätherische Zartheit und natürliche Eleganz, die der Gewinner des bekannten Warschauer Chopin-Wettbewerbs 2015 ausstrahlt, wirkt auch durch seine Musik. „Manierismus nur um des Effekts willen versuche ich zu vermeiden“, betont Cho entsprechend auch in unserem Gespräch. Es dreht sich hauptsächlich um sein Debüt bei den Sommerfestspielen am Festspielhaus Baden-Baden am 22. Juli 2017, streift aber auch privatere Aspekte seines Musikerlebens.
Mein Porträt über Seong-Jin Cho ist im aktuellen Magazin des Festspielhaus Baden-Baden erschienen.
Festspielhaus-Magazin: Porträt Seong-Jin Cho (1) – zum Vergrößern bitte anklicken | Festspielhaus-Magazin: Porträt Seong-Jin Cho (2) – zum Vergrößern bitte anklicken |
Da ich dort natürlich nur Auszüge unseres interessanten Austauschs unterbringen konnte, gibt’s nachfolgend das komplette Interview mit Seong-Jin Cho. Viel Spaß beim Lesen!
Elisa Reznicek: Sie spielen am 22. Juli 2017 gleich beide Chopin-Klavierkonzerte am Festspielhaus Baden-Baden. Dafür sind sehr viel Durchhaltevermögen, Konzentration und sicher auch Geduld nötig. Sind Sie ein musikalischer Langstreckenläufer?
Seong-Jin Cho: Ja, in gewisser Weise. Ich habe die Konzerte tatsächlich noch nie gemeinsam aufgeführt. Für mich ist das absolutes Neuland. Das erste Mal habe ich von der Idee von meinem Manager gehört. Dirigent Valery Gergiev hat sie ins Spiel gebracht. Mir ist natürlich klar, dass es ziemlich tough wird, aber ich denke auch, dass es ein sehr interessanter und spannender Ansatz ist. Dazu kommt, dass es für mich eine große Freude ist in Baden-Baden mit diesem Programm auftreten zu können.
Elisa Reznicek: Sie haben mit Valery Gergiev bereits früher zusammengearbeitet, sowohl in seiner russischen Heimat mit dem Orchester des Mariinsky Theaters als mit dem Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Italien. Was mögen Sie besonders an seinem Arbeitsstil und an der Art und Weise, wie er Dinge musikalisch angeht?
Seong-Jin Cho: Bisher habe vor allem russisches Repertoire mit ihm gespielt – zum Beispiel Rachmaninows 3. Klavierkonzert in Rom und Wladiwostok. Er hat so viel Feuer und Leidenschaft. Außerdem ist Gergiev in seinem Interpretationsstil sehr frei und behält immer den Überblick, weil er jede kleinste Nuance hört. Er versteht sofort, warum ich etwas auf eine bestimmte Art und Weise spiele, und nimmt den Faden auf. Sein musikalisches Können bewundere ich wirklich sehr.
Elisa Reznicek: Haben Sie einen Favoriten unter den beiden Chopin-Konzerten?
Seong-Jin Cho: Das ist sehr schwierig zu sagen. Tatsächlich habe ich das 1. Klavierkonzert bereits sehr oft bei Auftritten gespielt, wohingegen ich das 2. Klavierkonzert im Juni erstmals der Öffentlichkeit vorstellen werde. Ich trete damit vor den Sommerfestspielen in Baden-Baden im bulgarischen Sofia und Anfang Juli in Evian in Frankreich auf. Für mich wirkt das zweite Klavierkonzert noch leidenschaftlicher als das erste. Vor allem der 2. Satz ist unglaublich romantisch und anmutig. Das erste Klavierkonzert ist dafür intimer und unmittelbarer.
Elisa Reznicek: Sie wissen ja, dass sich hinter den Konzerten auch eine Liebesgeschichte verbirgt. Chopin hat seine Gefühle für die Sängerin Konstancja Gladkowska in Töne gegossen, was man vor allem im Larghetto des 2. Klavierkonzerts heraushören kann. Macht das Wissen um den persönlichen Hintergrund einen Unterschied bei Ihrer Interpretation oder verfolgen Sie einen eher technischen Ansatz?
Seong-Jin Cho: Natürlich ist der Hintergrund für mich wichtig. Ich denke beim Spielen schon daran, dass es bei den Klavierkonzerten auch um Liebe geht, aber um eine sehr unschuldige, junge Liebe. Chopin war erst 20 Jahre alt, als er die Werke geschrieben hat. Daher versuche ich das entsprechend rein und ungekünstelt zu interpretieren. Es ist romantisch, aber nicht auf eine kitschige oder billige Art und Weise. Der Klang bleibt immer transparent, Manierismus nur um des Effekts willen versuche ich zu vermeiden.
Elisa Reznicek: Das 1. Klavierkonzert haben Sie auch auf CD veröffentlicht. Die Aufnahmen sind in den berühmten Abbey Road Studios in London entstanden, wo schon die Beatles Platten eingespielt haben. Haben Sie vor Ort daran gedacht, dass dort schon Musikgeschichte geschrieben wurde?
Seong-Jin Cho: Ja, an den Wänden hängen viele Bilder von berühmten Leuten, darunter auch Karajan. Natürlich war ich begeistert, dort ebenfalls aufnehmen zu können. Noch mehr als das hat mich aber die wunderbare Akustik der Studios beeindruckt.
Elisa Reznicek: Sie wohnen seit 2012 in Paris. Warum sind Sie in diese Stadt gezogen?
Seong-Jin Cho: Eigentlich stand für mich erst einmal nur fest, dass ich nach Europa ziehen wollte – die Entscheidung für die Stadt kam erst später. Auch an Deutschland als möglichen Wohnort hatte ich gedacht. Das Problem daran war aber, dass es hier so viele tolle Städte gibt: Berlin, Hamburg, München, Köln. In Frankreich ist alles sehr zentralisiert. Paris ist der unangefochtene kulturelle Mittelpunkt. Daher war ich überzeugt, dass ich hier am meisten erleben und von der europäischen Kultur kennen lernen kann. Ich interessiere mich sehr für Kunst und gehe oft ins Museum. Außerdem gibt es viele Konzerte in Paris. Es zieht jeden großartigen Musiker hier hin. Es gab Zeiten, da bin ich dreimal pro Woche ausgegangen – in klassische Konzerte, zu Ballett-Aufführungen oder in Opern-Inszenierungen.
Elisa Reznicek: Gab es Höhepunkte oder besondere Erlebnisse?
Seong-Jin Cho: Ja, zum Beispiel der Auftritt von Radu Lupu, der zu meinen Lieblingspianisten zählt. Beeindruckt haben mich auch Krystian Zimerman, Grigory Sokolov und Claudio Abbado. Grigory Sokolov kommt zum Beispiel gar nicht nach Asien, er tritt nur in Europa auf. Das war eine große Freude ihn zu hören. Radu Lupu und Krystian Zimerman, den ich seit Kindertagen bewundere, habe ich zudem persönlich kennen gelernt.
Elisa Reznicek: Ich habe eine Fernsehsendung mit Ihnen gesehen, in der Sie dem verblüfften Rolando Villazón gesagt haben, dass Sie eigentlich gar keine Wettbewerbe mögen. Warum haben Sie denn dann daran teilgenommen?
Seong-Jin Cho: Eigentlich waren das gar nicht so viele Competitions im Vergleich zu anderen Musikern. Bei den fünf internationalen Veranstaltungen, bei denen ich mitgemacht habe, war ich nur immer erfolgreich. Ich habe zweimal den dritten Platz belegt und dreimal den ersten. Der Grund für meine Teilnahmen war, dass ich mir einen Namen machen und meine Karriere aufbauen wollte. Das ist natürlich kein Patenrezept, sondern nur einer der möglichen Wege.
Elisa Reznicek: Offensichtlich ist Ihr Plan aufgegangen: Sie geben weltweit Konzerte und sind viel unterwegs.
Seong-Jin Cho: Trotzdem ist es schwerer, als man denken mag, denn es gibt sehr viele sehr gute Musiker. Für mich war die Zeit nach dem Sieg beim Internationalen Chopin-Wettbewerbs in Warschau ehrlich gesagt die schwierigste Phase meines Lebens: Ich musste plötzlich viele wichtige Entscheidungen treffen, zum Beispiel für ein Management und eine Plattenfirma. Was sollte ich machen? Was lieber nicht? Interviews geben, Konzerte spielen … Aber ich denke, ich habe einen guten Job gemacht. [lacht]
Elisa Reznicek: Ich habe gelesen, dass Sie nach dem Gewinn des Chopin-Wettbewerbs auf einen Schlag unglaublich berühmt waren in Ihrer Heimat Korea. Sie sind mit einer Aufnahme auf Platz 1 der Pop-Charts geklettert und waren die „meist-gegoogelte“ Person im Internet. Können Sie dort noch unerkannt über die Straße gehen?
Seong-Jin Cho: Ja, das stimmt tatsächlich. Ich bin aber nicht mehr so oft in Korea, weil ich sehr beschäftigt bin. Ich gebe vielleicht dreimal im Jahr ein Konzert dort. Manche Leute erkennen mich, aber das interessiert mich nicht weiter. Mir geht es ohnehin nicht darum berühmt zu werden, ich möchte spielen. Daher sind mir meine Fans, die klassische Musik so lieben wie ich, auch wichtiger als die breite Masse.
Elisa Reznicek: In Korea gibt es überraschend viele junge Klassik-Fans. Können Sie sich das erklären?
Seong-Jin Cho: Nein, leider nicht. Aber zumindest bemerkt man inzwischen, dass auch in Europa zunehmend auch junge Menschen ins Konzert gehen, zum Beispiel Studenten. Ich wünsche mir sehr, dass es noch mehr werden!
Elisa Reznicek: Bei den Sommerfestspielen geben Sie Ihr Debüt in Baden-Baden. Waren Sie denn schon einmal dort?
Seong-Jin Cho: Nein, leider noch nicht. Aber ich habe schon so viel Gutes über die Stadt gehört und mir auch Videos und Konzertmitschnitte aus dem Festspielhaus angeschaut. Mir ist bewusst, dass Baden-Baden ein wichtiges Zentrum für klassische Musik ist. Alle großen Orchester und Interpreten treten dort auf. Daher habe ich mich riesig gefreut, als ich zu den Sommerfestspielen eingeladen wurde. Außerdem wurde mir gesagt, dass Baden-Baden toll für Urlaube und zum Entspannen sein soll. Ich hoffe, ich kann ein paar Tage länger bleiben.
Elisa Reznicek: Die Sommerfestspiele am Festspielhaus ergänzen eine Reihe von wirklich beeindruckenden Debüts. Sie haben dieses Jahr zum Beispiel in der ausverkauften Carnegie Hall in New York gespielt.
Seong-Jin Cho: Seit ich ein kleines Kind war, wollte ich dort spielen. Und jetzt wurde mein Traum wahr – und das auch noch im großen Saal! Ich bin zufrieden mit meinem Auftritt. Es war eine tolle Erfahrung für mich.
Elisa Reznicek: Haben Sie so etwas wie einen Fünf-Jahres-Plan für Ihre Karriere?
Seong-Jin Cho: Oh, das kann ich wirklich nicht sagen. Das ist das Business meines Managements. [lacht] Doch egal, was passieren wird – ich werde auch weiter mein Bestes geben. Als Musiker habe ich aber einen Traum: Ich möchte ausschließlich Sachen machen, die ich wirklich machen möchte, ganz egal ob das nun mein Repertoire betrifft oder meine Termine. Noch fällt es mir manchmal schwer, Nein zu sagen. Doch wenn zu viel auf einmal passiert, kann das Probleme bereiten.
Elisa Reznicek: Sie haben mit sechs Jahren angefangen Klavier zu spielen. Wissen Sie noch, warum?
Seong-Jin Cho: Anfangs war das nur ein Hobby für mich. Meine Eltern haben mich einfach machen lassen. Sie sind keine Profi-Musiker und hören Klassik rein zum Vergnügen. Schnell wurde das Klavierspielen aber wichtig für mich, eben weil ich klassische Musik sehr mag und sich das irgendwie natürlich angefühlt hat. Ich weiß zwar nicht warum, aber ich wusste ziemlich früh, dass ich Pianist werden wollte.
Elisa Reznicek: Hätte es eine Alternative für Sie zu Ihrem jetzigen Beruf gegeben oder gab es nur Plan A?
Seong-Jin Cho: Als Kind war ich gut in Mathe. Als ich ungefähr zehn Jahre alt war, habe ich bei einem Mathematik-Wettbewerb mitgemacht, den mein Lehrer vorgeschlagen hat. Auch da habe ich den dritten Platz belegt. [lacht] Mein Vater ist Ingenieur, vielleicht wäre ich ihm gefolgt, wenn ich nicht Musiker geworden wäre. Aber das habe ich nie ernsthaft in Betracht gezogen.
Elisa Reznicek: Was machen Sie, wenn Sie frei haben?
Seong-Jin Cho: Eigentlich nichts Besonderes. Ich besuche gern gute Restaurants, denn ich mag leckeres Essen. Ansonsten: Lesen, Spazieren gehen, Museen besuchen … Ich führe jenseits der Bühne ein ganz normales Leben.
Elisa Reznicek: Sind in Ihrem Freundeskreis viele Musiker?
Seong-Jin Cho: Ja, die meisten sogar. Ich würde sagen 80 Prozent. Das war schon in Korea so, denn ich war immer in Schulen mit Schwerpunkt Musik. Ein sehr guter Freund von mir studiert in München Komposition und Dirigieren. Für mich hat er noch nichts geschrieben, aber er hat mir schon Werke von sich gezeigt. Aber wir haben natürlich auch andere Themen als Musik. Etwas Gutes zu trinken und zu essen beispielsweise. [lacht]
Elisa Reznicek: Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele Konzerte Sie ungefähr im Jahr geben?
Seong-Jin Cho: Ich würde sagen um die 80 Konzerte im Jahr.
Elisa Reznicek: Dabei sehen Sie die ganze Welt. Das stelle ich mir sehr spannend vor!
Seong-Jin Cho: Es ist gut und gleichzeitig anstrengend. Aber im Moment macht es mir sehr viel Spaß, das stimmt.
Elisa Reznicek: Gibt es Musiker, Komponisten oder Dirigenten, die Sie gerne einmal treffen würden?
Seong-Jin Cho: Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich schon viele Pianisten kennen gelernt habe, die mich inspirieren und die ich bewundere. Natürlich wäre es auch toll, jemanden wie Beethoven zu treffen. Aber das geht natürlich nicht mehr. [lacht] Überhaupt mag ich deutsche Komponisten wie Schubert, Schumann, Brahms und Bach, aber mir ist bewusst, dass sie schwierig zu spielen ist. Daher ist das auch so etwas wie ein Langzeitprojekt für mich: Ich möchte das deutsche Repertoire lernen und vor allem ein tiefes Verständnis dafür entwickeln. Um den geeigneten Klangcharakter herauszuarbeiten, benötigt man viel Zeit.
Elisa Reznicek: Ich habe vor einiger Zeit Martin Stadtfeld live gesehen, der seine ganze Persönlichkeit in die Interpretation legt. Ist das etwas, was sie auch tun, oder treten Sie eher ein Stück zurück und lassen die Musik für sich sprechen?
Seong-Jin Cho: Das ist eine ziemlich schwierige Frage. Bei Beethoven halte ich mich aus Respekt an alle Spielangaben, die er gemacht hat. Johann Sebastian Bach hat weniger dieser Anweisungen in die Noten geschrieben. Hier hat man mehr Spielraum zu improvisieren, die Verzierungen, also Triller und Ähnliches, freier zu interpretieren. Ich würde also sagen, dass es auf das Werk ankommt, das man spielt.
Termin-Info: Seong-Jin Cho debütiert am Festspielhaus Baden-Baden
Vielleicht treffe ich ja auch den einen oder anderen Leser vor Ort beim Konzert am Samstag im Festspielhaus Baden-Baden. Ich würde mich freuen!
Samstag, 22. Juli 2017, 18 Uhr
Seong-Jin Cho (Klavier)
Valery Gergiev (Dirigent)
Orchester des Mariinsky Theaters
Frédéric Chopin
Klavierkonzert Nr. 1 e-Moll op. 11
Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll op. 21
***
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 7 E-Dur
Text und Interview: Elisa Reznicek – bei Interesse einer redaktionellen oder sonstigen Verwertung, egal ob ganz oder auszugsweise, bitte unbedingt vorab Kontakt aufnehmen, um die Konditionen abzuklären. Alle Inhalte unterliegen dem deutschen Urheberrecht!
Aufmacher-Foto und Hochformat im Beitrag: Harald Hoffmann / DG (über Presseabteilung des Festspielhaus Baden-Baden); Bild von Seong-Jin Cho und Elisa Reznicek von Michael Gregonowits